Das Rheinische Revier wird sich in den nächsten Jahren sehr verändern und soll zu einer Modellregion für eine nachhaltige Bioökonomie werden. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe ermöglicht seltene Einblicke in die Art und Weise, wie derartige Transformationsprozesse funktionieren. Doch nicht nur das – es lässt sich auch wertvolles Wissen für die Zukunft gewinnen.
Das Rheinische Revier ist das größte zusammenhängende Braunkohleabbaugebiet Europas. Genau hier soll in den nächsten Jahren eine Modellregion für eine nachhaltige Bioökonomie entstehen. Ein regionaler Wandel dieser Größenordnung ist damit nicht nur eine technologische und ökonomische Herausforderung, sondern bringt auch gesellschaftlich vielschichtige Herausforderungen mit sich.
Im Kompetenzplattform-Projekt Transform2Bio interessiert uns, wie so ein gesellschaftlicher Transformationsprozess funktioniert – und was wir daraus lernen können. Denn auch wenn das Rheinische Revier als Modellregion in einen besonders spannenden und dynamischen Kontext eingebettet ist, sind einige Rahmenbedingungen und Prozesse keineswegs nur auf die Region selbst beschränkt und können damit wertvolle Erkenntnisse weit über das Rheinische Revier hinaus ermöglichen. Denn vergleichbare regionale Transformationen finden auf der ganzen Welt statt – von der Lausitz bis nach Neuseeland.
Zu unseren Forschungsfragen gehört daher, wie es gelingen kann, divergierende Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zusammenzubringen. Perspektiven, beispielsweise zwischen Unternehmen, Landwirten und Bürgerverbänden, können sich fundamental unterscheiden. Um jedoch erfolgreich und gemeinschaftlich Transformationsprozesse mitzugestalten, benötigen wir inklusive Prozesse und neue Ideen, um einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zu finden.
Daran schließen sich auch direkt Fragen nach der Einbindung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an. Denn die bloße Kenntnis verschiedener Perspektiven führt noch nicht zu einer ausgewogenen Berücksichtigung. Aus Erfahrungen, unter anderem mit der Energiewende in Deutschland, wissen wir, dass einige Formen der Teilhabe an Entscheidungsprozessen vielversprechend sind – andere jedoch nicht. Im ungünstigsten Fall kann eine fehlgeleitete (oder ausbleibende) Einbindung der beteiligten Akteure dazu führen, dass sich gesellschaftliche Gruppen von der Umgestaltung ihrer Region abwenden oder diese sogar blockieren. Daher forschen wir im Projekt nach Möglichkeiten und Wegen, wie die Implementierung einer nachhaltigen Bioökonomie gemeinsam gelingen kann.
Ein spannendes Beispiel findet sich in der Landwirtschaft, die mit den Landwirten als Rohstofflieferanten in der Region einen zentralen Akteur für das Gelingen einer nachhaltigen Bioökonomie darstellt. Landwirte stehen regelmäßig vor komplexen Entscheidungen und müssen oft viele Jahre im Voraus planen, denn der Anbau bestimmter Pflanzen kann die Böden für Jahre prägen. Hinzu kommen veränderte Anforderungen an Mensch und Natur durch die Auswirkungen des Klimawandels – aber auch spannende Chancen durch neue Technologien oder übergreifende Trends wie die Digitalisierung. Außerdem spielen gesellschaftliche Anforderungen an eine nachhaltige Anbauform und resiliente Lieferketten in den letzten Jahren eine zunehmend wichtigere Rolle, die Ausdruck in Reformen des komplexen politischen Rahmenwerks finden. Daher ist es notwendig zu verstehen, welche Faktoren für Landwirte im Mittelpunkt stehen und aufgrund welcher Überlegungen sie Entscheidungen treffen. Ebenso wichtig ist, wie die produzierte Biomasse anschließend verwendet wird. Der einzelne Landwirt wünscht eine gewisse Vorhersehbarkeit, dass die von ihm bereitgestellten Erzeugnisse von Konsumenten und Industrie entsprechend nachgefragt werden. Aber zugleich muss auch die Industrie die entsprechenden Voraussetzungen vorfinden, innovative und gleichzeitig nachhaltige Produkte zu produzieren.
Wie eingangs erwähnt, müssen also eine Vielzahl von Interessen und wechselseitigen Abhängigkeiten berücksichtigt werden, damit Entscheidungen im Sinne der Allgemeinheit nachvollziehbar und transparent getroffen werden können. Um Entscheidungsträger bei derart komplexen Entscheidungen zu unterstützen, bündeln wir das gemeinschaftliche Wissen der Akteure und nutzen eine multikriterielle Entscheidungsanalyse als methodischen Ansatz. Dadurch können wir verstehen und berücksichtigen, welche Entscheidungskriterien für unterschiedliche Akteure von besonders großer Bedeutung sind, und wie diese Präferenzen die Findung gemeinsamer Kompromisse beeinflussen.
Das daraus gewonnene Wissen ist zentral, damit wir als Gesellschaft auch in der Zukunft unsere gemeinsamen Ziele erreichen. Daher hoffen wir, dass die Projektergebnisse auch bei zukünftigen Transformationsprozessen in anderen Regionen zum Erfolg beitragen können.
Vom Rheinischen Revier in die ferne (und nahe) Welt.
Weiterführende Informationen
BioökonomieREVIER - Modellregion für nachhaltige Bioökonomie im Rheinischen Revier
Prof. Dr. Sandra Venghaus
IEK-STE Systemforschung und Technologische Entwicklung (IEK-STE)
Forschungszentrum Jülich
E-Mail
Dr. Wilhelm Kuckshinrichs, Prof. Dr. Sandra Venghaus, Mirko Dallendörfer, Sophia Dieken, Florian Siekmann
IEK–STE Systemforschung und Technologische Entwicklung, Forschungszentrum Jülich
Prof. Dr. Jan Börner, Dr. Sascha Stark
ILR – Ökonomik nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie, Universität Bonn
Prof. Dr. Joachim von Braun
ZEF – Ökonomischer und technologischer Wandel, Universität Bonn
PD Dr. Wolfgang Britz, Dr. Till Kuhn
ILR – Ökonomische Modellierung von Agrarsystemen, Universität Bonn
Prof. Dr. Stefanie Bröring, Simon Ohlert, Anna Waßenhoven
ILR – Technologie-, Innovationsmanagement und Entrepreneurship, Universität Bonn
Prof. Dr. Monika Hartmann, Janine Macht, Jeanette Klink-Lehmann
ILR – Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft, Universität Bonn
Prof. Dr. Thomas Heckelei, Dr. Yaghoob Jafari
ILR – Wirtschafts- und Agrarpolitik, Universität Bonn
Prof. Dr. Silke Hüttel, Dr. Stefan Seifert
ILR – Produktionsökonomik, Universität Bonn
Prof. Dr. Ulrich Schurr, Dr. Leonie Göbel
IBG-2 Pflanzenwissenschaften, Forschungszentrum Jülich
Prof. Dr. Grit Walther, Ali Abdelshafy
Lehrstuhl für Operations Management, RWTH Aachen
01.09.2019 – 31.08.2022
Das Gesamtbudget von Transform2Bio beträgt 2.399.949 €. Transform2Bio ist Teil des NRW-Strategieprojekts BioSC und gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.