Computermodelle spielen eine immer größere Rolle, um die Wettbewerbsfähigkeit von biobasierten Verfahren zu steigern. Mit ihrer Hilfe gelingt es, komplexe biologische und technische Prozesse präzise vorherzusagen und damit zu optimieren. Dies gilt insbesondere für den Betrieb von Bioraffinerien. Ihre Wirtschaftlichkeit hängt maßgeblich vom Nutzungsgrad der hier verarbeiteten nachwachsenden Rohstoffe sowie deren effektiver Umwandlung in neue Wertstoffe ab. Im Rahmen des Boost-Fund-Projektes „BeProMod“ entstand eine digitale Bioraffinerie, welche optimale Betriebsstrategien in Anlagen mit hoher Modularität und wechselndem Eingangsmaterial abbilden kann.
Nachwachsende Rohstoffe wie pflanzliche oder tierische Biomasse sind reich an Kohlenhydraten, Fetten, Ölen und Proteinen. Sie sind damit für die Herstellung von Chemikalien eine Alternative zum Erdöl. Die Umwandlung von Biomasse in neue Wertstoffe geschieht in Bioraffinerien und umfasst eine Vielzahl von Verfahrensschritten. Um gegenüber erdölbasierten Verfahren konkurrenzfähig zu sein, müssen sowohl einzelne Schritte der biologischen und technischen Prozesse als auch das Gesamtverfahren optimiert werden. Genau wie im Fall erdölbasierter Raffinerien ist ein Betrieb von Bioraffinerien nur dann wirtschaftlich, wenn alle chemischen Bausteine der eingehenden Rohstoffe maximal und mit höchster Effizienz genutzt werden. Je nach Zusammensetzung der Biomasse und Art der gewünschten Zwischen- und Endprodukte gibt es sehr unterschiedliche Bioraffineriekonzepte. Forscherteams entwerfen einerseits Bioraffinerien, die mit wechselndem Eingangsmaterial, von Stroh und Schilf bis hin zu Holzabfällen, zurechtkommen. Andererseits erarbeiten sie optimale Betriebsstrategien für Anlagen, die modular aufgebaut und damit flexibel einsetzbar sind. Die damit verbundenen hochkomplexen Fragen sind rein empirisch, also durch ein mehr oder weniger gezieltes Ausprobieren nicht mehr zu lösen. Zielführender ist es, per Computermodell eine Bioraffinerie mit all ihren Facetten und Möglichkeiten digital abzubilden, bevor man sie tatsächlich baut. Die Entwicklung einer
solchen digitalen Bioraffinerie war die Kernaufgabe des BioSC Boost-Fund-Projektes „BeProMod“. Dieses Projekt konzentrierte sich auf die stoffliche Nutzung Lignocellulose-haltiger Biomasse. Lignocellulosen sorgen in den Zellwänden holziger Pflanzen für Stabilität und wehren mit ihrer dichten Struktur sogar Pilze und Bakterien ab. Sie machen in Landpflanzen bis zu 95 Prozent der Trockenbiomasse aus – sind also in großen Mengen verfügbar, aber aufgrund ihrer Robustheit schwierig zu verwerten.
Zerlegung der widerspenstigen Lignocellulose
Im Zentrum einer Lignocellulose-Bioraffinerie steht ein biochemischer Umwandlungsprozess mit Mikroorganismen als Hauptakteuren. Diese können mit den langkettigen, hochverzweigten Molekülen der Lignocellulose zunächst jedoch nichts anfangen und benötigen technische Starthilfe. Durch mechanische und enzymatische Verfahren wird die Biomasse daher vorbehandelt. Ein solches Verfahren stellt beispielsweise das an der RWTH Aachen und am Forschungszentrum Jülich entwickelte OrganoCat-Verfahren dar. Dieses wurde auf der Grundlage von Abfällen aus der holzverarbeitenden Industrie etabliert und anschließend im FocusLab „AP3“ zur Vorbehandlung verschiedenster Lignocellulose-haltiger Reststoffströme weiterentwickelt (siehe Artikel zu AP3). Das durch die Vorbehandlung gewonnene Stoffgemisch wird anschließend weiter aufgetrennt: So entsteht eine feststoffhaltige Cellulose-Fraktion und eine wässrige Phase mit bereits gelösten Zuckern sowie Lignin als weiterem Komplexbestandteil. Während die darauffolgende enzymatische Aufspaltung der Cellulose in verwertbare Glucose-Einheiten technisch gelöst ist, stellt die Zerlegung von Lignin immer noch eine große Herausforderung dar und ist Gegenstand aktueller Forschungen im BioSC. Gegenwärtig kann die Lignocellulose also noch nicht vollständig verwertet werden. Es resultieren aber dennoch zwei Stoffströme, die jeweils ergiebige Ausbeuten an Zuckern mit sechs Kohlenstoffatomen (Glucose) beziehungsweise fünf Kohlenstoffatomen (Xylose) liefern. Dieser kleine, aber feine Unterschied ist von großer Bedeutung für die weitere mikrobielle Stoffumwandlung.
Die aus der Lignocellulose freigesetzten Zucker können nun durch geeignete Mikroorganismen und deren natürliche Enzymausstattung in gewünschte Zwischen- oder Endprodukte umgewandelt werden. Hierbei gibt es allerdings zwei grundlegende biologische Sachverhalte zu berücksichtigen: Erstens gibt es nicht DEN industriell einsetzbaren Mikroorganismus, der natürlicherweise alle verschiedenen Zucker aus der Vorbehandlungsstufe verwerten kann. Zweitens existieren auf der Basis verschiedener Zelltypen und Stoffwechselwege immer mehrere Pfade, welche die Verwertung eines bestimmten Zuckers ermöglichen. Die Aufgabe der Forschung ist es, hier das optimale Vorgehen zu finden.
Jedoch kann es je nach festgelegtem Ausgangssubstrat (zum Beispiel C5- oder C6-Zucker), dessen gewähltem Umsetzungspfad, sowie dem gewünschten Zielprodukt zu einer mehr oder weniger starken Nebenproduktbildung von CO2 kommen. Dadurch wird die Effizienz der Kohlenstoffnutzung im Gesamtprozess der Bioraffinerie und damit auch deren Wirtschaftlichkeit so-wie ihr ökologischer Fußabdruck positiv oder negativ beeinflusst.
Hier kommt nun das Digitale ins Spiel.
Viele kleine Modelle ergeben ein großes Ganzes
Computergestützte Prozessmodellierung und -optimierung steigern zunehmend die Wettbewerbsfähigkeit von biobasierten Verfahren im Vergleich zu bestehenden konventionellen Methoden. Aufgrund der skizzierten Komplexität einer Bioraffinerie erfordert die Erstellung eines digitalen Computermodells die Expertise von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen – allen voran der Bio- und Systemverfahrenstechnik. Im Rahmen des BioSC-Projektes „BeProMod“ haben Wissenschaftler der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich nun ein erstes Demonstrationsmodell einer digitalen Bioraffinerie erstellt.
Die Detailtiefe dieses Modells reicht von der biologischen Beschreibung einzelner enzymkinetischer Reaktionen über komplexe mikrobielle Stoffwechselnetzwerke bis hin zur technischen Umsetzung in verschiedene Grundoperationen, zu Reaktortypen und vollständigen Prozessketten einer Bioraffinerie. Der Modellansatz wurde dabei so gewählt, dass die zukünftige Weiterentwicklung auf Grundlage neuer experimenteller Daten sowie vertieften Wissens einfach möglich ist. Besonderer Wert wurde auch auf die Benutzerfreundlichkeit und Wiederverwendbarkeit einzelner Modellbausteine gelegt, um die Modellierung dynamischer Prozesse aus anderen Anwendungsbereichen zu gestatten. In einer ersten konkreten Fallstudie wurde ein Produktionsprozess berechnet, in welchem Mikroorganismen die organische Säure Succinat als wichtige Vorstufe der industriellen Kunststoffherstellung bereitstellen. Hauptakteur in diesem Verfahren war der für diese Aufgabe optimierte Modellorganismus Corynebacterium glutamicum.
Mithilfe des Computermodells konnten ideale Stamm- und Prozessvarianten für eine skalierbare Produktion von Succinat auf Basis von OrganoCat-Substraten identifiziert werden. Der Sprung aus der digitalen Welt in eine real existierende Bioraffinerie wird unter anderem im BioSC FocusLab „HyImPAct“ vorbereitet. Hier werden die experimentelle Umsetzung sowie weiterführende techno-ökonomische Fragen zum bestmöglichen Produktionsprozess bewertet.
Projektleiter
Dr.-Ing. Stephan Noack
IBG-1 Biotechnologie, Forschungszentrum Jülich
Email
Beteiligte Core Groups
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Wiechert, Dr.-Ing. Stephan Noack, Dr.-Ing. Eric von Lieres, Dr.-Ing. Xiao Zhao
IBG-1 Biotechnologie, Forschungszentrum Jülich
Prof. Dr.-Ing. Alexander Mitsos, Dr. Ralf Hannemann-Tamás, Tobias Ploch
AVT – Systemverfahrenstechnik, RWTH Aachen
Prof. Dr. Uwe Naumann, Jonathan Hüser
Software und Tools für Computational Engineering, RWTH Aachen
Projektlaufzeit
01.07.2014 – 30.06.2017
Förderung
BeProMod ist Teil des NRW-Strategieprojekt BioSC und gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Publikationen
Lotz, J, Naumann, U, Hannemann-Taḿas, R, Ploch, T and Mitsos, A (2015). Higher-order discrete adjoint ode solver in c++ for dynamic optimization. Procedia Computer Science 51: 256-265.
Lotz, J, Schwalbach, M and Naumann, U (2016). A case study in adjoint sensitivity analysis of parameter calibration. Procedia Computer Science 80: 201-211.
Safiran, N, Lotz, J and Naumann, U (2016). Algorithmic differentiation of numerical methods: Second-order adjoint solvers for parameterized systems of nonlinear equations. Procedia Computer Science 80: 2231-2235.
Zhao, X, Noack, S, Wiechert, W and Lieres, EV (2017). Dynamic flux balance analysis with nonlinear objective function. J Math Biol